Jakobi-Kirche Coesfeld
Samstag, 2. Dezember 2023, 11.00 Uhr
Anton Bruckner und seine Zeit
Programm
Anton Bruckner Ouvertüre g-Moll (1863)
(1824-1896) (Transkription für Orgel von Rudolf Innig, 2018)
Josef Gabriel Rheinberger Vision (1888)
(1839-1901) aus: Zwölf Charakterstücke für die Orgel op. 156
Karl Waldeck Fantasie g-Moll nach einem Thema von Anton Bruckner (1867)
(1841-1905) Orgel-Fantasie über Motive aus Beethovens Sinfonie Nr. 5 c-Moll, dem Andenken Anton Bruckners gewidmet
(1871/1903)
Anton Bruckner Marsch d-Moll WAB 96 (1862)
(Bearbeitung für Orgel von Rudolf Innig, 2018)
Rudolf Innig, Orgel
(www.rudolf-innig.de)
Gedanken zur Musik
Anton Bruckner und Josef Gabriel Rheinberger waren Kollegen als Lehrer für Harmonielehre und Kontrapunkt an den Konservatorien in Wien und München. Insbesondere Josef Gabriel Rheinberger galt als einer der angesehensten Kompositionslehrer seiner Zeit: Von 1867-1901 absolvierten rund 600 (männliche !) Studenten in Gruppen seinen dreijährigen Unterricht, darunter etwa 60 aus den USA. Lehrinhalte waren vor allem kontrapunktische Techniken, Fugen und Kanons.
Beiden wurde im Laufe ihrer langjährigen Unterrichtstätigkeit zunehmend bewusst, dass die von ihnen gelehrten Inhalte nicht mehr im Einklang mit der zeitgenössischen Musikentwicklung standen: Richard Wagners Musikdramen, die sinfonischen Werke von Hector Berlioz oder Franz Liszt hatten mit ihrer kühnen Harmonik und ihrer neuartigen Instrumentierungskunst die Strukturen und die 'Sprache der Musik' verändert.
An die Stelle der Beherrschung eines verbindlichen Kanons von Kompositionsregeln und Techniken ging es nun vor allem um schöpferische Individualität und Originalität. Anton Bruckner drückte es so aus: "Hier in der Akademie muss alles ordentlich zugehen, aber wenn jemand kommt und zeigt mir ein solches Stück, dann schmeiß ich ihn raus."
In seinem Bemühen, das Komponieren sinfonischer Werke zu erlernen, hatte sich Anton Bruckner 1861 an seinen zehn Jahre jüngeren Freund, den Linzer Kapellmeister Otto Kitzler gewandt, der ihm anhand der Kompositionslehre von Joh. Chr. Lobe das Studium der Sonatform (wie Bruckner sie nannte) vermittelte. Die Ouvertüre g-Moll (1863) orientiert sich zwar an ihrer traditionellen Form (mit Exposition, Durchführung und Reprise, hier sogar mit einer langsamen Einleitung), aber abweichend von der Tradition zielt der Sonatensatz des bereits 38 Jahre alten Komponisten vor allem auf das Ende des Stückes, an dem das Hauptthema in überraschend neuer Klanggestalt erscheint.
Josef Gabriel Rheinberger ist neben Felix Mendelssohn durch seine zwanzig (!) Orgelsonaten der bedeutendste Komponist von Orgelmusik im 19. Jahrhundert. Zudem ist er der 'Erfinder' des Charakterstückes für Orgel. Kleine, meist lyrische Genrestücke waren vor allem in der Klaviermusik beliebt: Die Träumerei aus den Kinderszenen op. 15 von Robert Schumann etwa ist das bekannteste Charakterstück aller Zeiten.
Rheinberger komponierte vier umfangreiche Zyklen in dieser Art von jeweils zwölf Sätzen. Sein Orgelstück Vision orientiert sich an der avancierten Tonsprache der späten Werke Richard Wagners: Tief- oder hochalterierte Harmonien, die bis zu Siebenklängen reichen, bewegen sich mitunter an den Grenzen der Dur-Moll-Tonalität, ohne diese jedoch völlig in Frage zu stellen.
Die beiden Fantasien von Karl Waldeck kann man als 'imaginäre Orgelstücke' von Anton Bruckner bezeichnen. Wie Bruckner stammte auch er aus einer Lehrerfamilie. Waldeck lernte ihn 18581 während seiner Lehrerausbildung in Linz kennen, wurde dort sein Schüler in den Fächern Orgel und Harmonielehre und 1868 sein Nachfolger als Domorganist in Linz, als Anton Bruckner an das Konservatorium Wien berufen wurde.
In seinen Fantasien lässt Karl Waldeck (bzw. Anton Bruckner) die Themen in verschiedenen Tonarten und manchmal überraschend neuem harmonischen Licht erklingen. Die beiden Stücke vermitteln zugleich einen Eindruck davon, wie Anton Bruckners Improvisationen auf der Orgel geklungen haben.
Der abschließende Marsch d-Moll, der im Spätherbst 1862 entstand, ist Anton Bruckners erste sinfonische Komposition überhaupt: ein kurzes dreiteiliges Stück mit einem Trio als Mittelteil: ein 'Charakterstück für sinfonisches Orchester'.
(Dr. Rudolf Innig)