Orgelkonzert St. Nicolai Lüneburg

 Freitag, 28. Juli 2023, 20.00 Uhr

 

 Programm

 Johannes Brahms                 Präludium und Fuge g-Moll (1864)

(1633–1897)                          

 Robert Schumann                 Vier Skizzen op. 58 (1845)

(1810-1856)                             Nicht schnell und sehr markiert

                                              Nicht schnell und sehr markiert

                                              Lebhaft

                                              Allegretto

 Felix Mendelssohn               Sonate D-Dur op. 65 Nr. 5 (1844)

(1809–1847)                            Andante (Choral)

                                              Andante con moto

                                              Allegro

 Anton Bruckner                    Drei Orchesterstücke WAB 97 (1862)

(1824-1896)                            Moderato

                                             Andante

                                             Andante con moto

                                            (Transkription für Orgel von Rudolf Innig, 2018)

 Rudolf Innig                          Fantasie über eine Improvisationsskizze

(*1947)                                   von Anton Bruckner (2021)

 Rudolf Innig, Orgel

(www.rudolf-innig.de)

Gedanken zur Musik

Ein Jahr vor der 200sten Wiederkehr seiner Geburt ist Anton Bruckner heute als Komponist von monumentalen Sinfonien bekannt, die einen Gipfel der sinfonischen Orchestermusik im 19. Jh. bilden. Das war zu seiner Zeit völlig anders: Bekannt war er damals vor allem als Organist, zunächst am Dom in Linz, dann ab 1868 als erster Orgelprofessor des Konservatoriums in Wien und 'im Dienste seiner Majestät'  mit dem prestigeträchtigen Titel 'kaiserlich königlicher Hoforganist'. Seine Orgelimprovisationen über bekannte Melodien wie etwa das Halleluja aus Händels Oratorium Messias oder die österreichische Nationalhymne (von ihm als Kaiserlied genannt), über Themen aus den Sinfonien Beethovens, den Musikdramen Wagners und seinen eigenen Sinfonien machten ihn auch im europäischen Ausland berühmt. So trat er 1872 mehrfach bei der Weltausstellung in London als Repräsentant des österreichischen Kaiserreiches vor Tausenden von Zuhörern auf: Seine improvisierten Fantasien und Fugen wurden immer mit allergrößtem Erfolg aufgenommen, wie er einem Freund berichtete.

Auch die übrigen im Programm vertretenen Komponisten waren begeisterte Kenner und Liebhaber von Orgelmusik, wie Johann Sebastian Bach gesagt hätte. Johannes Brahms war etwa einer der Herausgeber der neunbändigen Ausgabe der Orgelwerke Bachs, die ab 1837 im Peters-Verlag in Leipzig erschien und sogar heute noch im Handel erhältlich ist. Sein Präludium und Fuge g-Moll zeugt von der genauen Kenntnis des gleichnamigen Orgelstückes von Bach (BWV 535), die mitunter bis in die Nähe von Zitaten reicht.

Robert Schumann ließ sich von einem Klavierbauer in Dresden eine Pedaltastatur unter seinem Flügel anfertigen. Für diesen Pedalflügel komponierte er die Vier Skizzen op. 58, kurze Charakterstücke in dreiteiliger A-B-A Form. Für dieses Instrument schrieb er auch seine Sechs Fugen über den Namen B-A-C-H op. 60, eines der bedeutendsten Orgelwerke im 19. Jahrhundert. Die Wieder-Entdeckung der Musik Johann Sebastian Bachs beruhte nach einer ersten, vielbeachteten Biografie von Johann Forkel (1803) vor allem auf Wieder-Aufführung der Matthäus-Passion in Berlin im Jahre 1829 unter der Leitung des zwanzigjährigen Felix Mendelssohn.

Mit seinen 1845 veröffentlichten Sechs Orgelsonaten op. 65 schuf Felix Mendelssohn zudem eine epochal neue Gattung: Die zuvor weitgehend von Kirche und Liturgie geprägte Orgelmusik verband sich nun auch mit der 'bürgerlichen' Sonatenform, mit virtuosen Charakterstücken und pianistischer Spieltechnik. Das zeigt sich besonders deutlich in der Sonate D-Dur op. 65 Nr. 5, in der sich Alt und Neu exemplarisch vermischen. Am Anfang steht ein von Mendelssohn erfundener Choral im 'alten Stil', der in eines der für ihn typischen Lieder ohne Worte in h-Moll mündet. Mit seinem durchgehenden (und von Mendelssohn exakt bezeichneten) Staccato-Achteln im Pedal wirkt es mit seinem melancholischen Charakter wie ein Regentropfen-Prélude für Orgel.

Das Finale ist ein kompakter und virtuoser Sonatensatz, der wie ein improvisiertes Fugato beginnt. In der Art einer 'Cello-Kantilene' erklingt ein zweites Thema, das von virtuosen Achteltriolen begleitet wird und in allen Stimmlagen erscheint. Ein kurzer durchführungsartiger Mittelteil führt wieder zum Anfang zurück, in dem sich beide Themen in brillanten Passagen verbinden.

Vor diesem Hintergrund erscheint es zunächst verwunderlich, wenn es von Anton Bruckner keine nennenswerten Kompositionen für Orgel gibt. Nur einige wenige kurze Fugen sind überliefert, die er 1861 am Ende eines sechsjährigen Studiums in Harmonielehre und Kontrapunkt für seine Abschlussprüfung schrieb. Es war die Begegnung mit der Musik Richard Wagners, die ihn danach zur Komposition sinfonischer Orchestermusik anregte. Ein Schlüsselerlebnis bildeten die Aufführungen der Oper Tannhäuser im Frühjahr 1863 in Linz, bei denen er als Chordirigent mitwirkte. Sein Freund, der dortige Theaterkapellmeister Otto Kitzler vermittelte ihm seit dem Herbst 1861 die entscheidenden Impulse zur Komposition sinfonischer Werke. Die hier erklingenden Drei Orchesterstücke (1862) sind Bruckners erste sinfonische Orchesterwerke, ebenfalls kurze dreiteilige Charakterstücke, deren Harmonik jedoch wesentlich komplexer ist als bei denen von Robert Schumann.

Die Frage, wie Bruckners Improvisationen geklungen haben mögen, lässt sich aus einigen seiner überlieferten Improvisationsskizzen rekonstruieren. Die ausführlichste von ihnen umfasst etwa 70 Takte, und sie entstand im Jahr 1890, weil er als Hoforganist eingeladen war, bei der Hochzeit einer Tochter des Kaisers Orgel zu spielen. Da er zu dieser Zeit seine Sinfonie c-Moll Nr. 1 überarbeitete, entschloss er sich, die Themen aus dem Finalsatz der Sinfonie für seine Improvisation zu verwenden. Zum Auszug wollte er die Themen mit dem Halleluja von Händl, einer Kaiserlied-Improvisation verbinden oder auch alle drei Themen vermischen, wie er in seiner Skizze schrieb. Die hier erklingende Fantasie führt zunächst Bruckners Skizzen weiter und verbindet diese beiden Themen am Ende mit einer Transkription des Satzendes der Sinfonie. Das von Bruckner nur angedeutete Halleluja-Thema ist hier als Mittelteil zu einer kleinen Fugato-Episode ausgeweitet.                                                                                                                                                                                                                                                                                       www.rudolf-innig.de