St. Florian - Stifts-Kirche

Bruckner-Fest 2020

Dienstag, 18. August 2020

 Lange Nacht der Orgelmusik

 

 Anton Bruckner    Sinfonie f-Moll (1863)

(1824-1896)

                                           Allegro molto vivace

                                           Andante molto

                                            Scherzo (Schnell)

                                            Finale (Allegro)

Rudolf Innig, Orgel

(www.rudolf-innig.de)

 

Gedanken zur Musik

Anders als heute war Anton Bruckner zu seiner Zeit nicht als Symphoniker, sondern vor allem als Organist bekannt. Mit 24 Jahren (1848) wurde er zum Stiftsorganisten des Augustinerklosters in St. Florian ernannt, wo er zuvor nach dem frühen Tod seines Vaters 1837 als Chorknabe aufgenommen worden war. Ab 1855 war er Organist am Dom in Linz, schließlich ab 1869 mit dem Titel 'k.u.k. Hoforganist' in Wien. Internationale Anerkennung erlangte er vor allem durch seine Improvisationen auf der Orgel, bei denen er oft mit Fantasien u.a. über Themen von Georg Friedrich Händel, Richard Wagner oder aus seinen eigenen Sinfonien glänzte.

Seit seiner Kindheit war Anton Bruckner mit der großen Orgel in der Stiftskirche St. Florian vertraut, mit der er sich zeit seines Lebens -und darüber hinaus- verbunden fühlte. Mit 78 Registern und vier Manualen war sie damals die bedeutendste in der gesamten Donaumonarchie. Für 'sein' Instrument schrieb Anton Bruckner jedoch nur wenige, unbedeutende Stücke, seine monumentalen Sinfonien widmete er dem sinfonischen Orchester, nachdem er mit immensem Fleiß die dazu erforderliche Kompositions- und Instrumentationstechnik studiert hatte.

Trotz seiner zeitintensiven Organistentätigkeit am Dom in Linz nahm Bruckner ein sechsjähriges 'Fernstudium' in Harmonielehre und Kontrapunkt bei dem angesehenen Theoretiker Simon Sechter in Wien auf, das er im November 1861 mit einer Prüfung abschloss. Kurz danach folgten weitere Studien bei dem 10 Jahre jüngeren Linzer Theaterkapellmeister Otto Kitzler in der freien Komposition, die ihm die entscheidenden Impulse zur Komposition sinfonischer Orchesterwerke vermittelten. Das erst 2014 veröffentliche Kitzler-Studienbuch zeichnet diese Entwicklung auf 326 Seiten mit handschriftlichen Übungen, Skizzen und Kompositionen Bruckners nach. Der zweijährige Unterricht bei dem befreundeten Kitzler endete im Frühjahr 1863 mit Bruckners ersten sinfonischen Werken, den Orchesterstücken (WAB 96 und 97). der Ouvertüre g-Moll (WAB 98) und der Sinfonie f-Moll (WAB 99).

Am 15. Februar 1863, zwei Tage nach der Linzer Erstaufführung des Tannhäuser, an der Bruckner mit der Einstudierung des Pilgerchores beteiligt war, begann er mit der Instrumentierung des ersten Satzes der Sinfonie f-Moll (WAB 99). Allein die 28 Themenentwürfe zum ersten Satz zeigen, mit welchem Elan Bruckner an diese Sinfonie heranging, die zugleich Ziel und Abschluss seiner Studien bei Otto Kitzler war. Dies erklärt auch, dass er trotz seiner zeitintensiven Organistentätigkeit am Dom in Linz bereits Ende Mai die Arbeit an der Sinfonie beendet hatte. Umso mehr war er enttäuscht, als Otto Kitzler sie als nicht besonders inspiriert bezeichnete, eine Beurteilung, die aus heutiger Sicht als ungerechtfertigt erscheint. Dennoch bemühte Bruckner sich mehrere Jahre lang um eine Aufführung, die aber nie zustande kam. Später gliederte er sie aus der Reihe seiner gezählten Sinfonien aus. Bei der letzten Revision seiner Werke in den frühen 1890er Jahren in Wien schrieb er über die Partitur sogar Schularbeit. Deshalb wird sie heute oft als Studiensinfonie bezeichnet und selten aufgeführt. Bei unvoreingenommener Betrachtung zeigt diese Sinfonie des bereits 39jährigen Komponisten jedoch die gleiche kompositionstechnische Souveränität wie die zwei Jahre später entstandene erste Sinfonie c-Moll. In den Strukturen der f-Moll Sinfonie sind (ähnlich wie in der Ouvertüre g-Moll) Einflüsse des Improvisierens auf der Orgel in Bruckners musikalischem Denken erkennbar.

So fällt bei den Themen des ersten Satzes die Häufung von Unregelmäßigkeiten in der Periodenbildung auf. Nirgendwo finden sich in dieser Sinfonie die für ihn so charakteristischen metrischen Ziffern, jenes spezielle 'Gerüst', mit dessen Hilfe er später die musikalische Architektur seiner monumentalen Formen schuf. Das Hauptthema des ersten Satzes hat 'nur' sieben Takte, der Seitensatz (in Bruckners Terminologie Gesangsperiode, T. 85) hingegen neun. Wie in der Ouvertüre ist auch hier die aus der Umkehrung des Kopfmotives gewonnene Übergangsgruppe (T. 62) nicht von 'thematischer Arbeit', sondern von sequenzierten Motivgruppen und Wiederholungsbildungen geprägt. Die in T. 146 beginnende Schlussgruppe weist mit ihren zwei verschiedenen Themen ebenfalls Unregelmäßigkeiten auf. Bruckner selbst sprach übrigens nie (wie im heutigen Sprachgebrauch üblich) von einem dritten Thema.

Dramatischer Höhepunkt des ersten Satzes ist die Coda: Sie beginnt in T. 561 im Mezzoforte trugschlüssig mit dem Kopfmotiv und steigert sich zu einem Fortissimo-Ausbruch des Orchesters, der mit einer Generalpause (T. 602) abbricht. Wie aus der Ferne erklingt danach in einer viertaktigen Parenthese ein Hornsolo in der Vergrößerung des Kopfmotives, bevor es (nun in Engführungen und Diminutionen) erneut im Fortissimo des vollen Orchesters hervorbricht und in einen mitreißenden Schluss von elementarer Wucht mündet. Ganz ähnlich hat Bruckner die Coda seiner kurz darauf entstandenen ersten Sinfonie c-Moll gestaltet.

Andante molto lautet die Tempobezeichnung des zweiten Satzes in Es-Dur, der erste der für Bruckner so charakteristischen, feierlich langsamen Sätze seiner Sinfonien. Beide Themen des ersten Teils werden von Vorhaltsbildungen geprägt, wobei das erste mit seinen zögernd sich vorwärtstastenden punktierten Rhythmen und den dreimaligen Vorhalten vor den Tönen des Es-Dur Dreiklanges die gleiche Struktur hat wie die Cellokantilene zu Beginn der Ouvertüre. In der variierten Wiederkehr des ersten Teils erscheint das zweite Thema nicht mehr in der Dominante, sondern in der Tonika Es-Dur. Die ausgedehnte Coda endet in einem verklingenden Hornsolo nochmals mit dem dreifachen Vorhalt des Anfanges.

Die ersten Entwürfe zum Scherzo hat Bruckner bereits im Januar 1863 im Zusammenhang mit den Skizzen zum ersten Satz notiert. Daraus entstand im April ein konzentrierter monothematischer Sonatensatz von nur 90 Takten. Das Thema im Dreivierteltakt und mit der Tempobezeichnung Schnell erklingt anfangs wie aus der Ferne im kammermusikalischen Dialog zwischen Holzbläsern und Streichern, steigert sich dann aber zum Ende des ersten Teils in einem sinfonischen 'Kraftausbruch' des ganzen Orchesters im Fortissimo. Hier hört man erstmals den Komponisten, der in seinen späteren Scherzi 'mit Felsen zu würfeln' scheint. Im Trio steht die Terzenseligkeit des Themas in den Holzbläsern im Kontrast zu der raffinierten Asymmetrie der Satzperioden.

Auch dem Finale liegt die Sonatenform zugrunde, ein energisches Hauptthema im Fortissimo des Orchesters eröffnet den Satz. Die Gesangsperiode (T. 60), ein lyrisches Seitenthema in der Paralleltonart As-Dur zeichnet sich -wie schon zuvor das Hauptthema der Ouvertüre- durch einen obligaten Kontrapunkt aus, in der Schlussgruppe gibt es wie im ersten Satz zwei verschiedene Themenbereiche (T. 92 und T. 118). Bruckners Sinfonien haben von Anfang an einen ausgeprägten Finalcharakter, schon hier ist die Tendenz, Gedanken aus den früheren Sätzen wieder aufzugreifen und kontrapunktisch miteinander zu verbinden, in Ansätzen zu finden. Die Sinfonie f-Moll ist auf das nach F-Dur gewendete Stretta-Finale ausgerichtet, in dem Bruckner zudem einen choralartigen Gedanken aus seiner d-Moll Messe zitiert. Auch die unvollendet gebliebene neunte Sinfonie d-Moll sollte mit einem ähnlichen Zitat schließen. Die Sinfonie ist in zwei Handschriften überliefert, die beide digitalisiert unter www.bruckner-online.at einsehbar sind. Das Autograph befindet sich im Stift Kremsmünster, die Abschrift in der Wiener Stadtbibliothek. Von Bruckners Skizzen zu dieser Sinfonie sind nur einige Themenentwürfe im sogenannten Kitzler-Studienbuch erhalten. Die Uraufführung fand erst 1913 im Stift Klosterneuburg statt.