Bielefeld Neustädter Marienkirche
Sonntag, 20. Juli 2025 18.00 Uhr
Programm
Georg Friedrich Händel Orgelkonzert g – Moll op. 4 Nr. 1 (1735)
(1685–1759) Larghetto
Allegro
Adagio
Andante
(Bearbeitung für Orgel Solo von Samuel de Lange (1840–1911)
Olivier Messiaen L'Ascension - Die Himmelfahrt (1934)
(1908-1992)
I. Majestät Christi, der seinen Vater um Herrlichkeit bittet
II. Ungetrübtes Alleluja einer Seele, die sich nach dem Himmel sehnt
III. Helle Freude einer Seele angesichts der Herrlichkeit Christi, die ihre eigene ist
IV. Gebet Christi, der zu seinem Vater auffährt
Felix Nowowiejski Sinfonie g–Moll op. 45 Nr. 2
(1877 – 1946)
Preludio festivo
Adagio (Unter dem Kreuz der Marienkirche in Krakau)
Finale (Recitativo – Fuge)
Rudolf Innig, Orgel
(www.rudolf-innig.de)
Gedanken zum Programm
Im Jahr 1733 erhielt der Londoner Operndirektor Georg Friedrich Händel, einer der ersten erfolgreichen freischaffenden Künstler der Musikgeschichte, eine gefährliche Konkurrenz: Der Operngesellschaft der Adeligen war es gelungen, Sänger aus Händels Ensemble abzuwerben und berühmte Gesangsvirtuosen der Zeit zu engagieren. Der fast 50jährige Händel reagierte darauf mit kunstvollen Chor- und Balletteinlagen in seinen Opern und bot als neuartige Pausenunterhaltung eigene Improvisationen auf seiner chamber organ an, einem kleinen Orgel-Positiv ohne Pedal, von dem aus er seine Opern und Oratorien dirigierte. So entstand die Idee zu seinen Orgelkonzerten, deren Form und Stil er schon früh in Italien (1706–1710) kennengelernt hatte. Bei den 1738 in London veröffentlichten Sechs Orgelkonzerten op. 4 griff er - wie schon bei früheren Werken - auf eigene Kompositionen zurück. Am Ende des 18. Jh. waren seine Orgelkonzerte op. 4 und 7 die am häufigsten gedruckten Werke überhaupt, nunmehr als beliebte Hausmusik im entstehenden bürgerlichen Zeitalter in Europa.
Das vor allem durch Felix Mendelssohns Orgelsonaten op. 65 neu erwachte Interesse an Orgelmusik veranlasste im 19. Jahrhundert mehrere Komponisten dazu, die populären Orgelkonzerte von Händel für Orgel solo zu bearbeiten. Der in Rotterdam geborene und später als Hochschuldirektor in Stuttgart wirkende Samuel de Lange (1840-1911) erweiterte den meist zweistimmigen Orgelpart Händels im Sinne seiner Zeit zu einem vollgriffigen Klaviersatz, er ergänzte Neben- und Gegenstimmen und fügte an Stellen, bei denen Händel ad libitum schreibt, teils ausgedehnte virtuose Kadenzen hinzu.
L' Ascension (1934) ist der erste Orgelzyklus von Olivier Messiaen (1908-1992), dem bis 1984 noch sechs weitere folgen sollten. Sein Buch Technik meiner musikalischen Sprache (1944), das zusammen mit seinen avantgardistischen Werken später Studierende aus der ganzen Welt geradezu magnetisch in seine Kompositionsklasse nach Paris anziehen sollte, war noch nicht entstanden, aber all seine neuen musikalischen Ideen sind in diesem frühen Orgelzyklus schon zu hören, die faszinierenden Harmonien und Klangfarben, seine unkonventionellen Rhythmen, ein insgesamt neuer Orgelstil: Nach der Erfindung der sinfonischen Orgelmusik durch César Franck in seinem Grand Pièce Symphonique (1863) beginnt mit diesen vier Stücken erneut eine revolutionär neue Epoche der Orgelmusik.
Der Name des polnischen Komponisten Felix Nowowiejski (1877-1946) hätte heute in der spätromantischen Orgelmusik eine ähnlich große Bedeutung wie Charles-Marie Widor (1844-1937) oder Louis Vierne (1870-1937), wenn es den Zweiten Weltkrieg mit seinen Schrecken und der folgenden, fast 50 Jahre andauernden Teilung Europas durch den Eisernen Vorhang nicht gegeben hätte. In seinen Orgelwerken, vor allem in seinen neun Orgelsinfonien op. 45 und den Vier Konzerten für Orgel Solo op. 56 verbinden sich die Einflüsse der deutschen Musiktradition (Nowowiejski lebte viele Jahre in Berlin und studierte dort Komposition bei Max Bruch) und der sinfonischen französischen Orgelmusik, die er in Paris kennenglernt hatte, mit der charakteristischen polnischen Melancholie. Seine neun Sinfonien zählen zu den bedeutendsten Werken der spätromantischen sinfonischen Orgelliteratur.
Zwei Themen prägen den ersten Satz der Sinfonie g-Moll op.45 Nr. 2: Nach einer kurzen Einleitung erklingt im Forte ein markant-virtuoses Thema, dem Nowowiejski ein polnisches Marienlied im Piano gegenüberstellt, das von Sechzehntelgirlanden umspielt wird. Der zweite Satz ist eine ausdrucksvolle, harmonisch avancierte Meditation mit dem Unter dem Kruzifix der Marienkirche in Krakau. Aus einer quasi improvisierten Einleitung entwickelt sich im dritten Satz ein Fugenthema, das aus dem anfangs erklingenden Marienlied abgeleitet ist. Mit Zitaten aus dem ersten Satz mündet der Satz in einem virtuosen Finale. (Dr. Rudolf Innig)